Stellungnahme der Berlin/Brandenburger Initiativen zur Evaluation des FLG und der 2. FlugLSV 91- 701-2017-03

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Stellungnahme der Berlin/Brandenburger Initiativen zur Evaluation des FLG und der 2. FlugLSV

Der Gesetzgeber hat im Fluglärmschutzgesetz (FLG) vorgesehen, dass im Abstand von 10 Jahren eine Überprüfung der Lärmwerte unter Berücksichtigung des Standes der Lärmwirkungsforschung und der Luftfahrttechnik erfolgen soll. Dass das Fluglärmschutzgesetz grundsätzlich auf dem Prüfstand ist und UBA und BMUB hierzu die Diskussion eröffnet haben, sehen wir positiv. Die BI’s sind allerdings der Auffassung, dass das FLG und die FluglärmschutzVO absolut unzureichend sind und die bisherigen Regelungen dazu geführt haben, dass insbesondere Bürger im Nachtschutzgebiet des Flughafens Berlin Schönefeld (BER) keinen ausreichenden Schutz bekommen. Man hat sich also den vorbildlichen Tagschutz am BER nicht zum Maßstab genommen. Das Gesetz und das untergesetzliche Regelwerk sind grundlegend zu überarbeiten – das bestehende Gesetz nimmt erhebliche Belästigungen und gesundheitliche Beeinträchtigungen bewusst in Kauf, obwohl Handlungsbedarf für einen besseren Lärmschutz nachgewiesen wurde.

Wesentliche Kritikpunkte am Fluglärmschutzgesetz sind:

  1. Die NORAH Studie und auch weitere internationale Lärmwirkungsstudien zeigen, dass die Bevölkerung Fluglärm wesentlich intensiver wahrnimmt und auch gesundheitliche Gefahren (Bluthochdruck, Herz-Kreislauferkrankungen, Depressionen, erhöhtes Risiko an Krebs zu erkranken, vorzeitige Todesfolgen und weitere Gesundheitsbe-einträchtigungen) im Lärmschutzbereich der Tag- und Nachtschutzzonen und weit darüber hinaus zu erwarten sind.
  2. Insbesondere Schlaf- und Kommunikationsstörungen (Konzentrations- und Lernstörungen bei Kindern) sind bei den bisherigen unzureichenden Werten des Fluglärmschutzgesetzes und dem darauf basierenden Schutzniveau zu erwarten.
  3. Es gibt keinen ausreichenden Schutz vor Maximalpegeln im Innern der Gebäude – auch weil das FLG und die 2. FlugLSV Dauerschallpegel ansetzt und nicht vor den „nicht selten auftretenden“ Maximalpegeln (Begriff entsprechend der TA Lärm) und vor der Zahl der Flugbewegungen schützt.
  4. Das Schutzniveau an den Flughäfen München (Planfeststellung von 1987) und das Tagschutzniveau am Flughafen Berlin (BER) mit einem NAT Kriterium (0,9 x 55 dB(A) bzw. 0,005 x 55 dB(A) zusätzlich zu einem Dauerschallpegel) ist um ein Vielfaches besser als das des FLG. Der Gesetzgeber hat das vorliegende höchstrichterlich bestätigte Schutzniveau nicht beachtet.
  5. Der maßgebliche Außenlärmpegel, der seit der VDI 2719 von 1987 einen Zuschlag von 6 dB für den Fluglärm und einen um 3 dB erhöhten Freifeldschallpegel kennt, wird nur an wenigen Flughäfen (Leipzig und Schönefeld tags) richtig gebildet. Der Pegel, vor dem zu schützen ist, liegt um 9 dB höher als der vom FLG und der 2. FlugLSV angenommene. Vor Lärm im tiefen Frequenzbereich wird generell nicht geschützt. Diese unzureichende Regelung führt zwingend zu erheblichen Schlafstörungen in den Lärmschutzbereichen.
  6. Entgegen allen Festlegungen vor 2007, die sich am Verwaltungsverfahrensgesetz orientierten, wurden Bürger aufgrund des FLG schutzlos gestellt, weil es keinen Schutz vor Aufnahme des Flugbetriebs gibt (anders alle vorher planfestgestellten Flughäfen). Die FBB will am BER genau zu diesen Regelungen kommen und will sich vom Planfeststellungsbeschluss verabschieden, indem er Räume und Gebäude für nicht anspruchsberechtigt erklärt und daraus folgend rechtlich äußerst fragwürdige „freiwillige“ Maßnahmen konstruiert, die dann dem niedrigen Standard des FLG unterworfen sein sollen. Es wird also nochmals versucht, Bürger um ihre Schallschutzansprüche zu bringen – das vollkommen unzureichende FLG ist ein willkommenes Argument für die FBB, Kosten zu sparen.
  7. Dass Bürger noch nicht einmal in ihrer eigenen Wohnung vollumfänglich geschützt werden, sondern Schallschutzmaßnahmen von der Höhe pro qm her begrenzt worden sind, ist eine Regelung, die es sonst beim Schutz vor Straßen- und Schienenlärm nicht gibt. Auch beim Flughafen BER gibt es aufgrund des Planfeststellungsbeschlusses eine Obergrenze von 30% des Verkehrswertes. Das bedeutet, dass Gebäude in direkter Nähe mit sehr hoher Fluglärmbelastung überhaupt nicht ausreichend geschützt werden. Erstmals ist also beim Flughafen BER vom Verursacherprinzip abgewichen worden.
  8. Die Antragsvorschriften, Bemessungsgrenzen und Entschädigungsverfahren müssen verwaltungstechnisch vereinfacht werden, damit nicht der Verwaltungs-Kostenanteil am zugesagten Schallschutz einen übermäßigen Anteil verschlingt. Gleichzeitig müssen die Aufsichtsbehörden sicherstellen, dass geeignete, überprüfbare und umsetzbare Schallschutzplanungen von unabhängigen Ingenieurbüros vorgelegt werden. Hierzu hat der Gesetzgeber die erforderlichen Vollzugshinweise zur Anwendung der 2.FlugLSV zu geben.

Trotz dieser offenkundigen Defizite hat der Gesetzgeber im Jahr 2007 dem Drängen der Luftverkehrslobby nachgegeben und allein aus vorgegebenen „wirtschaftlichen“ Gründen vollkommen unzureichende Entschädigungswerte festgelegt.

Wir sehen insbesondere folgende Punkte – auch generell – kritisch:

Eine lange zeitliche Streckung von Schutzmaßnahmen insbesondere bei Bestandsflughäfen; kein effektiver Schutz bei einer Steigerung der Flugbewegungen oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung in der Nachtzeit; keine Anwendung der 100/100 Regelung bei nicht seltenen Betriebsrichtungen; keine verlässliche Prognose für den Endausbau des jeweiligen Flughafens; selektiver Schutz für einzelne Raumnutzungen; Regelabschläge von 3 dB beim Schallschutz für Bestandsimmobilien; Abschläge um bis zu 8 dB bei bestimmten Bestandsgebäuden; 5-Jahresfrist auch bei der Antragstellung der Außenwohnbereichsentschädigung; unzureichender Schutz vor neuen oder auch verändert belegten Flugrouten; keine Lärmminderungsvorgabe; kein ausreichender Schutz von öffentlichen Einrichtungen in Tagschutzzone 2; keine Anwendung der Lärmindizes der EU-UmgebungslärmRL.

Vollzugsdefizite:

Die Bundesregierung hat neben Absichtserklärungen nur wenig unternommen, um die katastrophale Situation für Fluglärmbetroffene zu mildern:

Obwohl das FLG aktive Schutzmaßnahmen nicht ausschließt, sind keine handhabbaren Instrumente insbesondere bei der Lärmaktionsplanung entwickelt worden. Die Lärmaktionsplanung hat nicht zu mit dem Luftverkehrsgesetz abgestimmten Maßnahmen und Aktivitäten für den aktiven Schutz geführt. Gesetzesanpassungen sind unterblieben. Beim baulichen Schallschutz ist kein Bauteilkatalog für den Schallschutz in Angriff genommen worden – der Schallschutz hinkt dem Wärmeschutz hinterher. Die 2. FlugLSV übernimmt vollkommen unzureichende Werte der DIN 4109 – die nur Mindestanforderungen für den Schallschutz definiert. Es gibt keine Vollzugshinweise zur 2. FlugLSV vom BMUB – erst durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin Brandenburg von 2016 ist klargestellt worden, dass eine Lüftungsplanung und eine Be- und Entlüftung erforderlich ist. Es besteht keine messtechnische Prüfung der Berechnungswerte als Qualitätskontrolle.

Wir haben es also nicht nur mit einem unzureichenden Gesetz zu tun, sondern auch mit einem unzureichenden Vollzug. Die Aussage, dass Bürger durch das „neue“ FLG besser geschützt werden, ist vollkommen unzutreffend.

Wesentliche Forderungen:

  • Landes- und Regionalplanerisch sind Grenzen der Belastung der Siedlungsgebiete und öffentlicher Einrichtungen festzulegen, die dann in die jeweiligen Betriebsgenehmigungen zu übernehmen sind.
  • Es muss zu einem ökologischen Umdenken vergleichbar dem Wiener Verwaltungsgerichtsurteil 2017 beim Umgang mit dem Flugverkehr und beim Fluglärm kommen. Die EU BetriebsbeschränkungsVO kann die Flughafenbetreiber nicht davon freistellen, regionale aktive Schutzmaßnahmen zu ergreifen. ICAO Werte müssen fortlaufend und automatisch aktualisiert werden, um darauf basierend Steuerungsinstrumente aufbauen zu können.
  • Aktive regionale Schallschutzmaßnahmen und die Verlagerung von Nachtflügen in den Tageszeitraum sind vorrangig.
  • Auch Gebäude in der Lärmschutzzone 2 müssen in die Entschädigungsregelung und für den Schutz gemäß der 2. LSV und 3. LSV einbezogen werden – auch außerhalb der Lärmschutzzonen bestehen bei Überschreitung von Innenraumpegeln Schutzansprüche, die im vereinfachten Verfahren nachgewiesen werden können (Ermittlung des vorhandenen Bauschalldämmmaßes).
  • Die Träger der Lärmaktionsplanung müssen rechtlich in die Lage versetzt werden, Maßnahmen zur Lärmminderung im Benehmen mit den Luftverkehrsbehörden und im Einvernehmen mit der DFS und dem BAF umzusetzen.
  • In der Lärmaktionsplanung sollen echte Immissionsschutzgrenzwerte (für Dauerschall- und Maximalpegel) maßgeblich werden, die den Flughafenbetreiber zwingen, aktiven Lärmschutz zu betreiben, z.B. mit Hilfe von Nachtflugbeschränkungen, Betriebsbeschränkungen für besonders laute Flugzeuge oder Lärmkontingentierungen.
  • Ein Nachtflugverbot (von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr) ist stringent bei allen Flughäfen herbeizuführen und auch im europäischen Maßstab ist die Verlagerung von Nachtflügen in den Tag zu verlangen.
  • Bau- und Siedlungsverbote sind nur dann gerechtfertigt, wenn Grundstückswertverluste durch Fluglärm erfasst und ausgeglichen werden. Bebaubare Grundstücke in den Schutzzonen wie auch Bestandsgebäude innerhalb und außerhalb der Schutzzonen müssen zu Lasten der Flughafenbetreiber geschützt werden. Baulicher Schallschutz ist prinzipiell an den o.a. Schutzniveau zu orientieren.
  • Baubeschränkungen und Bauverbote in bebauungsfähigen Ortslagen sind zu entschädigen.
  • Verankerung eines Lärmminderungsgebotes im Luftverkehrsgesetz, welches die Luftfahrtbehörden und die Flugsicherungsorganisationen dazu verpflichtet, Fluglärm (etwa bei der Festlegung von Flugrouten) grundsätzlich und insbesondere während der Nachtstunden zu reduzieren. Bei der Flugroutenfestlegung sollte festgelegt werden, dass Lärmschutz an zweiter Stelle (vor der Wirtschaftlichkeit) nach der Sicherheit des Flugbetriebs zu berücksichtigen ist.
  • Eine gesetzliche Verankerung eines Beteiligungs- und Klagerechtes für Umweltverbände und Kommunen bei der Festlegung von Flugrouten.
  • Verankerung von bundesweit verbindlichen Mindestkriterien für die verursachergerechte lärm- und emissionsbezogene Differenzierung der Entgelte im Luftverkehrsgesetz.
  • Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen zur Internalisierung der Lärmkosten in den Ticketpreis. Ziel muss dabei sein, dass der Flughafen Geldbeträge an die geschädigten Menschen entsprechend des marktgerechten Wertes der Schädigung zahlt.
  • Unterstützung für koordiniertes europaweites Vorgehen und Übernahme der WHO Zielsetzungen zum Lärmschutz.

ABB, BVBB e.V. und BüSo Markus Sprißler

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